Franz Dinghofer
Franz Dinghofer | |
Beschreibung: | war ein österreichischer Richter und deutschnationaler Politiker zur Zeit des Ersten Weltkriegs und der Zwischenkriegszeit. Er war „Ausrufer“ der Ersten Republik und hatte mehrere hochrangige Funktionen inne, wie etwa als Dritter Nationalratspräsident oder Vizekanzler. Nach seinem Rückzug aus der Politik war er von 1928 bis 1938 Präsident des Obersten Gerichtshofes. |
Geburtsdatum: | 6. April 1873 |
Geburtsort: | Ottensheim |
Sterbedatum: | 12. Jänner 1956 |
Sterbeort: | Wien |
Franz Seraph Dinghofer (* 6. April 1873 in Ottensheim; † 12. Jänner 1956 in Wien) war ein österreichischer Richter und deutschnationaler Politiker zur Zeit des Ersten Weltkriegs und der Zwischenkriegszeit. Er war „Ausrufer“ der Ersten Republik und hatte mehrere hochrangige Funktionen inne, wie etwa als Dritter Nationalratspräsident oder Vizekanzler. Nach seinem Rückzug aus der Politik war er von 1928 bis 1938 Präsident des Obersten Gerichtshofes.
Dinghofer war bekennender Antisemit. Aufgrund seines NSDAP-Aufnahmeantrags vom 18. April 1940 war er ab 1. Juli 1940 NSDAP-Parteimitglied.[1][2]
Leben und Wirken
Aus einer bereits lange im oberösterreichischen Ottensheim ansässigen Familie stammend – Vater und Großvater waren beide Postmeister und Gastwirte in der Gemeinde[3] –, besuchte er ab 1879 die örtliche Volksschule.[3] Danach wechselte er 1884 ins Gymnasium Freistadt[3], wo er 1892 maturierte, worauf er ein Jusstudium an der Universität Graz absolvierte. Im Oktober 1892 wurde er Mitglied in der Burschenschaft Ostmark Graz.[4] Er wurde 1897 zum Dr. jur. promoviert. 1899 heiratete er die Linzerin Cäcilia Meindl, Besitzerin des „Schöllergutes“ in Linz Waldegg Nr. 57[5], mit der er einen Sohn und zwei Töchter hatte.
Im Juni 1902 wurde Dinghofer Richter für Zivil- und Strafsachen beim Bezirksgericht in Urfahr.[5] Von 1907 bis 1918 war er Bürgermeister von Linz, wobei er nicht nur der jüngste Bürgermeister einer Stadt mit eigenem Statut Cisleithaniens war, sondern auch das jüngste gewählte Stadtoberhaupt von Linz seit dem Bestehen einer freien Gemeinde. Als Bürgermeister war er Gründer der ersten Schrebergärten in Österreich, in seiner Amtszeit wurde St. Peter eingemeindet. Weiters wurden Grün- und Erholungsflächen ausgestaltet. Dinghofer betrieb aktive Verkehrspolitik und trat für den Ausbau des Eisenbahnnetzes ein.[6] Weiters wurde das Gaswerk kommunalisiert[7] und es wurden städtische Milch- und Fleischverkaufsstellen eingerichtet, um der Teuerung entgegenzusteuern.[8] Arbeiterwohnungen wurden gebaut, Wohnungsgesellschaften gegründet. Weiters wurde das Städtische Jugendamt für durch die Kriegsfolgen verwahrloste junge Menschen errichtet.[9]
Von 1911 bis zur Auflösung Österreich-Ungarns 1918 war er Reichsratsabgeordneter. Dinghofer war Begründer des Deutschen Volksbundes. Er bezeichnete sich selbst als Antisemiten und trat für den „Auszug“ der jüdischen Bevölkerung ein.[10] 1919 gründete er die Großdeutsche Vereinigung, aus der 1920 die deutschnational und antisemitisch gesinnte Großdeutsche Volkspartei hervorging, deren Obmann er auch war.
Da Linz während des Ersten Weltkrieges zu den bestversorgten Städten der Monarchie gehörte[11] – so wurde unter Dinghofer das Lebensmittelamt gegründet und wurden 1914 Brot- und Mehlkarten eingeführt – wurde man in Wien auf ihn aufmerksam und bot ihm 1917 den Posten des k.k. Ernährungsministers an, den Dinghofer jedoch ausschlug.[11]
Alle deutschen Reichsratsabgeordneten, so auch Dinghofer, wurden Mitglieder der 1918/1919 tätigen Provisorischen Nationalversammlung für Deutschösterreich. Dinghofer wurde von ihr in der Eröffnungssitzung am 21. Oktober 1918 zu einem ihrer drei gleichberechtigten Präsidenten gewählt. Als solcher führte er am 12. November 1918, als die Nationalversammlung auf Antrag des Staatsrates die republikanische Staatsform und die Zugehörigkeit zur deutschen Republik beschloss, den Vorsitz und erklärte nach der Abstimmung über die Vorlage: einstimmig angenommen. Als amtierender Präsident verkündete er dann, von seinem Präsidentenkollegen Karl Seitz (Sozialdemokrat) begleitet, von der Balustrade des Parlamentsgebäudes aus der Tausende Menschen zählenden Volksmenge die Entscheidung: „Deutschösterreich ist eine Republik.“[12]
1919 wurde Dinghofer oberösterreichischer Landtagsabgeordneter und Mitglied der provisorischen Landesversammlung. Er wurde am 16. Februar 1919 in die Konstituierende Nationalversammlung gewählt, konnte aber krankheitsbedingt an der Eröffnungssitzung vom 4. März und der Präsidentenwahl vom 5. März nicht teilnehmen, weshalb seine Wahl zum Dritten Präsidenten am 12. März 1919 stattfand. Im der Nationalversammlung mit dem Inkrafttreten des Bundes-Verfassungsgesetzes am 10. November 1920 nachfolgenden, am 17. Oktober 1920 neu gewählten Nationalrat wurde er für die I. Gesetzgebungsperiode zum Dritten Präsidenten gewählt, ebenso für die am 20. November 1923 begonnene II. Gesetzgebungsperiode.
Ab 1924 war er Vorsitzender Rat beim Oberlandesgericht Wien.
Am 20. Oktober 1926 trat er als Dritter Präsident des Nationalrates in Hinblick auf seine Aufnahme in die Bundesregierung zurück. In der Regierung Ignaz Seipels war er von 20. Oktober 1926 bis 19. Mai 1927 Vizekanzler, danach Bundesminister im Bundeskanzleramt und von 1927 bis 1928 Bundesminister für Justiz. Infolge der „Affäre Béla Kun“ trat Dinghofer am 4. Juli 1928 als Justizminister ab und zog sich aus der Politik zurück.[13]
Er kehrte zu seinem Beruf zurück und war von 1928 an zehn Jahre lang Präsident des Obersten Gerichtshofes, bis er am 11. Mai 1938 (nach dem Anschluss Österreichs) in den Ruhestand versetzt wurde.
Zur Gründung des Linzer Betriebes der Reichswerke Hermann Göring (der späteren VÖEST), eines zu 90 Prozent im Staatseigentum befindlichen Unternehmens, wurde das Schöllergut in Linz Waldegg, das seine inzwischen verstorbene Gattin in die Ehe eingebracht hatte, 1938 enteignet.[14] Als Ersatz dafür kaufte sich Dinghofer im Jahr 1940 die Villa Sarsteiner in Bad Ischl, Bauerstraße 11.[14]
Das Mauthausen Komitee Österreich (MKÖ) und das Netzwerk gegen Rassismus und Rechtsextremismus legten am 14. März 2019 nach Recherchen beim deutschen Bundesarchiv in Berlin Belege vor, nach denen Franz Dinghofer aufgrund seines eigenen NSDAP-Aufnahmeantrags vom 18. April 1940 ab 1. Juli 1940 NSDAP-Parteimitglied war (Mitgliedsnummer: 8450902).[1][2][15]
Dinghofers Familie lebte bis 1945 in Wien, nach Kriegsende in Bad Ischl. Franz Dinghofer verstarb am 12. Jänner 1956, im 83. Lebensjahr, und wurde auf dem St.-Barbara-Friedhof in Linz (Sektion 15, Gruft) beigesetzt.
Rezeption
Anlässlich des 92. Jahrestages der Ausrufung der Republik Österreich fand im Jahre 2010 im Parlament auf Initiative des Dritten Nationalratspräsidenten Martin Graf (FPÖ) ein Symposium zu Ehren Franz Dinghofers statt. Im Vorfeld dieses Symposiums kam es auch zur Gründung des Dinghofer-Instituts, Studiengesellschaft für Politikforschung (DI).[16] Das Dinghofer-Institut versteht sich als privater, nicht gewinnorientierter Verein mit dem Zweck der Förderung von Forschung und Lehre in den Bereichen Rechtswissenschaften, Medizin, Theologie und Ethik sowie Philosophie, insbesondere der Rechtsphilosophie.
In Linz (Dinghoferstraße) und in Ottensheim ist jeweils eine Straße nach Franz Dinghofer benannt.[17]
Kontroverse um die Umbenennung der Dinghoferstraße
Die Linzer Grünen fordern eine Debatte über die Umbenennung der Linzer Dinghoferstraße, weil der ehemalige Bürgermeister Mitglied der NSDAP war. Zumindest sollten die Straßenschilder mit entsprechend informierenden Zusatztafeln versehen werden. Die Forderungen der Grünen beziehen sich auf Recherchen des Mauthausen Komitee Österreich (MKÖ). Das MKÖ berichtete am 14. März 2019 von einer Anfrage beim Bundesarchiv in Berlin, ob Dinghofer NSDAP-Mitglied war. Die Auskunft des Bundesarchivs lautete: Dinghofer habe sich 1940 um die Aufnahme in die NSDAP bemüht, diese sei ihm bereits nach zweieinhalb Monaten gewährt worden. MKÖ-Vorsitzender Willi Mernyi erklärte, Dinghofer habe, soweit bekannt sei, kein Verbrechen begangen. Aber er habe ein Verbrecherregime unterstützt.[15][18] Kritik gab es in diesem Zusammenhang auch an einer ORF-Dokumentation, in der Dinghofer als „Baumeister der Republik“ bezeichnet wurde.[19] In der ORF III-Produktion wurde die Nähe Dinghofers zum Nationalsozialismus allerdings ausgeklammert. Die Dokumentation wurde am 18. Februar 2019 von ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz, Vizekanzler und FPÖ-Bundesparteiobmann Heinz-Christian Strache sowie der Dritten Nationalratspräsidentin Anneliese Kitzmüller (FPÖ) im Palais Epstein der Öffentlichkeit präsentiert.[20]
Literatur
- Uta Jungcurt: Alldeutscher Extremismus in der Weimarer Republik: Denken und Handeln einer einflussreichen bürgerlichen Minderheit. De Gruyter, Berlin 2016, ISBN 978-3-11-045477-2, S. 135f.
- Helge Dvorak: Biografisches Lexikon der Deutschen Burschenschaft. Band I Politiker, Teilband 1: A–E. Heidelberg 1996, S. 205–206.
- Fritz Mayrhofer: Franz Dinghofer – Leben und Wirken (1873–1956). In: Historisches Jahrbuch der Stadt Linz 1969. Linz 1970, S. 11–152, online in drei Teilen: Teil 1, Teil 2,
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ 1,0 1,1 Offline: NSDAP-Mitgliederkartei: Dr. Franz Dinghofer. (Suche auf archive.org ) NSDAP-Gaukartei, BArch R 9361-IX KARTEI / 6391205. In: mkoe.at (Mauthausen Komitee Österreich), abgerufen am 15. März 2019 (PDF).
- ↑ 2,0 2,1 Mauthausen Komitee und Antifa-Netzwerk decken Skandal auf: Angeblicher „Baumeister der Republik“ war Nationalsozialist. In: mkoe.at (Mauthausen Komitee Österreich), 14. März 2019, abgerufen am 15. März 2019.
- ↑ 3,0 3,1 3,2 Mayrhofer 1970, S. 13.
- ↑ Helge Dvorak: Biografisches Lexikon der Deutschen Burschenschaft. Band I Politiker, Teilband 1: A-E. Heidelberg 1996, S. 205.
- ↑ 5,0 5,1 Mayrhofer 1970, S. 15.
- ↑ Mayrhofer 1970, S. 40–57 (Kapitel „Das Verkehrswesen“).
- ↑ Mayrhofer 1970, S. 57–59 (Kapitel „Die Kommunalisierung des Gaswerkes“).
- ↑ Mayrhofer 1970, S. 73f, 82.
- ↑ Fritz Mayrhofer: Franz Dinghofer. Verkünder der Republik. In: Oberösterreicher. Band 1, Verlag OÖ Landesarchiv, Linz 19xx; Susanne Preisinger: Franz Seraph Dinghofer (1873–1956). Zum dreißigsten Todestag. In: Freie Argumente. Freiheitliche Zeitschrift für Politik. Jg. 13, Wien 1986.
- ↑ Daniela Ellmauer, Michael John, Regina Thumser (Hrsg.): „Arisierungen“, beschlagnahmte Vermögen, Rückstellungen und Entschädigungen in Oberösterreich, Band 11 (=Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission Band 17) Verlag Oldenbourg, Wien/München 2004, ISBN 3702905219, S. 44f.
Michael John: Bevölkerung in der Stadt. „Einheimische“ und „Fremde“ in Linz. (19. und 20. Jahrhundert). Archiv der Stadt Linz, Linz 2000, ISBN 3900388806, S. 141. - ↑ 11,0 11,1 Mayrhofer 1970, S. 18.
- ↑ Othmar Rappersberger: Auch sie waren einmal an unserer Schule – Dr. Franz Dinghofer. In: 118. Jahresbericht des Bundesgymnasiums Freistadt. Eigenverlag, Freistadt 1988.
- ↑ Mayrhofer 1970, S. 128f (Kapitel „Der Rücktritt als Justizminister“).
- ↑ 14,0 14,1 Mayrhofer 1970, S. 20.
- ↑ 15,0 15,1 Mauthausen-Komitee kritisiert Dinghofer-Doku. In: Der Standard, 14. März 2019, abgerufen am 15. März 2019.
- ↑ Webpräsenz des Dinghofer-Instituts
- ↑ Dinghoferstraße auf stadtgeschichte.linz.at.
- ↑ Grüne wollen Umbenennung der Dinghoferstraße. In: ooe.orf.at, 14. März 2019, abgerufen am 15. März 2019.
- ↑ Offline: Baumeister der Republik - Franz Dinghofer (Suche auf archive.org ) . In: tv.orf.at, 23. Februar 2019, abgerufen am 15. März 2019.
- ↑ Geehrt und im Parlament gewürdigt: Der antisemitische “Baumeister der Republik” Dinghofer. In: semiosis.at, 13. Februar 2019, abgerufen am 15. März 2019.
Dieses Dokument entstammt ursprünglich aus der deutschsprachigen Wikipedia. Es ist dort zu finden unter dem Stichwort Franz Dinghofer, die Liste der bisherigen Autoren befindet sich in der Versionsliste. Wie im LinzWiki stehen alle Texte der Wikipedia unter der CC-BY-SA-Lizenz.
|